Kacheln zählen,
immer wieder mit jeder neuen Bahn. Das sagte mir vor Jahren ein deutscher Spitzenschwimmer beim Gespräch nach einem Fotoshooting. Es wäre eine der einsamsten Sportarten der Welt. Und immer wieder der Blick auf den Beckenboden und Kacheln zählen…
Ich zähle Steine! Es waren unzählige Kieselsteine in jeglicher Größe entlang der Iller im Allgäu. Seit ich in Ulm die Donau überquert habe laufe ich nun auf dem Gebiet der Schwäbischen Ostalb. Hier findet sich der helle, scharfkantige Jurakalk und Mergel, jeweils vermischt mit Erde. Wenn man Strecken wandert schaut man zum größten Teil der Zeit auf den Boden unmittelbar vor sich um ein Stolpern zu vermeiden. Nur zum Navigieren bleibt man stehen oder weil man aus den Augenwinkeln etwas Interessantes wahrgenommen hat. Dann schaut man sich um. Es gibt auch Momente des Landschaft Genießens, meist verbunden mit einem Durchschnaufen nach einem kurzen heftigen Anstieg. Ich käme gar nicht auf meine 23 km Strecke täglich, wenn ich bei jedem Schritt die Landschaft in der Horizontalen betrachten würde. Irgendwann ist man in einem „Wanderfluss“ aus dem Rhythmus von Atmung, Schrittfrequenz und dem Geräusch der vorbeiziehenden Natur. Dann kommen auch die Gedanken. Es beginnt mit irgendeiner Kleinigkeit die einem im Kopf hängenbleibt. Zum Beispiel dieses Gespräch mit dem Schwimmer und seine Einsamkeit beim täglichen Bahnen ziehen. Solche gedanklichen Fäden werden dann weiter gesponnen, fast wie in einem Tagtraum. Zwischendurch vibriert die Uhr und mein Unterbewusstsein weiß, ich bin wieder einen Kilometer weiter gewandert. Kurioserweise erinnert mich dieser Zustand manchmal an stundenlange Fahrten auf der Autobahn, nur läuft hier meist Musik im Hintergrund.
Trotzdem gibt es eine Fülle an visuellen Entdeckungen, die einem instinktiv auffallen. Irgend etwas ist da gerade anders als gewohnt, also kurz stoppen und sich umschauen. Eine dieser Entdeckungen ist ein Mann der langsam ein frisch gepflügtes Feld abschreitet. Schon ein paar hundert Meter bevor ich neben dem Feld stehe, bemerke ich das ungewöhnliche Bild.
Genug Zeit sich zu überlegen, was dieser Mann da wohl macht? Rest Kartoffeln aus der Erde holen? Hat er vielleicht etwas verloren? Oder zählt auch er einfach nur Steine? Als ich nahe genug bin laufe ich direkt auf ihn zu und frage. Er ist ein freundlicher Mensch der mir bereitwillig Auskunft gibt. Er sei Hobbyarchäologe und sucht im Acker nach Artefakten, das sind vom Menschen z.b. aus Stein hergestellte Gegenstände. Heute findet er vor allem zum Schneiden geformte Steine und manchmal auch Pfeilspitzen aus der Jungsteinzeit. Er bezeichnet sich als Jäger und Sammler, der Reiz besteht im Finden des richtigen Ortes. Alles was er sammelt meldet er dem Archäologischen Landesamt von Baden-Württemberg und das bekommt bei Interesse die Fundstücke für ihr Schatzregal. Ich wäre im übrigen der erste gewesen, der ihn mal gefragt hätte, was er da auf dem Acker so treibt. Heidenheim an der Brenz, 26km
Wort des Tages: Schatzregal = Hoheitsrecht des Landes für den unstrittigen Besitz von herrenlosen verborgenen Schätzen
Spannende Gedanken…