Seit zwei Tagen wandere ich nicht mehr alleine.
Peter, ein guter Freund aus Essen begleitet mich seit Rothenburg. Er hat sich ein paar Tage frei nehmen können und überraschte mich vor einer Woche mit der Nachricht, dass er vorbeikommen wolle. Ich habe mich sehr gefreut, zumal die Anreise aus Essen recht aufwendig ist und ca. fünf Stunden dauert. Morgen wird er mit dem ÖPNV auch noch einmal zwei Stunden benötigen, um zurück zu seinem Auto zu kommen, welches er in Rothenburg stehen gelassen hat.
Es ist eine wohltuende Pause vom Alleinsein. Wir haben viel geredet, sind aber auch lange einfach nur schweigend gemeinsam gelaufen und haben die Landschaft auf uns wirken lassen. Peter war fasziniert von der Menschenleere dieser fränkischen Hochebene zwischen Rothenburg und Würzburg. Große ebene Flächen werden von Feldern bedeckt. Jetzt zum Schluss der Wanderung sind wir teilweise Kilometer lang neben Photovoltaik-Feldern entlang gelaufen. Ich nehme die Menschenleere gar nicht sofort wahr, weil ich das in den Wochen zuvor immer wieder erlebt habe, aber für Peter der vor 48 Stunden noch im dicht bewohnten Ruhrgebiet war, ist das ein zentrales Erlebnis.
Heute sind uns während der netto fünf Stunden, die wir wandern, gerade einmal zehn Autos entgegengekommen, eine echte Wohltat. Allerdings hat das gemeinsam Einsame auch eine Kehrseite. Ich treffe kaum auf Menschen die ich für mein Projekt portraitieren darf. Kurioserweise sind die beiden einzigen Motive heute Menschen, die mit Tieren zu tun haben.
Den Landwirt, Florian Hellenschmidt, der gemeinsam mit seinen Eltern einen Milchviehbetrieb führt, hätte ich sogar fast übersehen. Als wir uns seinem Betrieb näherten, faszinierten uns die vielen kleinen Kunstoff Halbkugeln, neben den Kuhställen. Hinter einer Hecke saß Florian telefonierend auf seinem alten Traktor. Aus den Augenwinkeln habe ich ihn beim Vorbeilaufen wahr genommen und hielt an, um das mit den komischen Kunststoff Halbkugeln zu klären. „Nein für Biogas oder die Lagerung von Gülle werden die nicht benutzt“ sagte er schmunzelnd. „Es ist ein kleiner Stall für die erst ein paar Wochen alten Kälber des Betriebes.“ Die Dinger heißen Großraumiglu und sind hier in der Region sehr verbreitet. „Ich hatte so etwas noch nicht zuvor gesehen oder davon gehört“ sagte ich zu ihm. Und schon waren wir eingeladen zu einer kleinen Führung bei den Kälbern. Die Familie besitzt seit mehr als 150 Jahren diesen Hof. Wie alle Milchviehbetriebe, gibt es keinen Tag an dem sich nicht ein Familienmitglied um die Tiere kümmern muss. Der Preis ist hoch, gemeinsame Familienurlaube sind eigentlich nur möglich, wenn man Angestellte hat. Aber für Angestellte ist der Betrieb und der wirtschaftliche Gewinn eigentlich noch zu klein. Also ist die Perspektive für eine große Anzahl von Betrieben nur das Kollektiv und die Zusammenführung von vielen kleinen Betrieben um Synergien zu schaffen. Ein weiterer ist das Fokussieren auf entweder Milch oder Fleisch je nach Marktlage. Daher züchtet und arbeitet man auch vorzugsweise mit der Rinderrasse „Fleckvieh“, welche am effizientesten beide Bereiche bedienen kann, falls es weibliche Kühe sind. Kitzingen, 25km
Wort des Tages: Gesextes Sperma = Tierzuchtsperma, welches nach dem X- und Y-Chromosom getrennt wurde, um das jeweils unerwünschte Geschlecht in der Nachkommenschaft ausschließen zu können.
Hallo Andreas,
Im Garten sitzend mitten in der Großstadt, genieße ich deine wunderschönen und lebendigen Reisebeschreibungen – habe auch paar Tage nachgeholt…
Viel Spaß und wunderbare Begegnungen weiterhin. Schade, dass Köln diesmal nicht auf deiner Route liegt 😉
Liebe Ute, wie gerne hätte ich noch einmal Station gemacht bei Peter und dir in Köln. Aber ich freue mich, dass ihr beiden in Gedanken bei mir seid und meine Erlebnisse durch diese Blog teilt. Bis hoffentlich bald mal wieder…